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Volker Lechtenbrink

Die Stimme Volker Lechtenbrinks macht jedes Gespräch gemütlich. Sein markanter Baß diktiert nicht nur das gemächliche Tempo der Unterhal-tung, er entfaltet auch sehr schnell einen akustischen Schutzschirm gegen die Nebengeräusche des kleinen Eppendorfer Cafés, in dem wir uns verabredet haben. Lechtenbrink hat ein Faible für unspektakuläre Orte, die lediglich der Muße oder der verhaltenen Kommunikation dienen wollen. Das coole Design moderner Szenetreffs ist nicht nach seinem Geschmack. Nun habe Hamburg, so mein Gesprächspartner, seit jeher gewaltige Defizite in der Caféhaus-Kultur. Wien – das sei die Stadt, in der die Bedürfnisse nach öffentlicher Nestwärme immer noch am perfektesten bedient würden.

Smaltalk zum warmwerden. Dabei hätte es dessen gar nicht bedurft. Der Mann scheint auf phantastische Weise gegen die Versuchungen des zwischenzeitlich ja nicht unerheblichen Ruhms resistent geblieben zu sein. Er stellt nichts dar – außer sich selbst. Eigenartig nur, daß ich dieses Gesicht nach nunmehr vierzig Jahren noch immer in Verbindung bringen kann mit dem erbärmlich heulenden Kind, das mir in Bernard Wickis Film „Die Brücke“ zum erstenmal den Krieg erklärte. Lechtenbrink weinend unter dem Stahlhelm – das Bild verfestigte sich in der Phantasie meiner Generation zu einer Ikone des Grauens. Ich war vierzehn, ich war in seinem Alter, der Film gehörte zum Pflichtprogramm in den Schulen. Wie hat er die Dreharbeiten verkraftet, wie wurden er und seine Mitspieler auf derart schonungslose Szenen vorbereitet?

„Bernard Wicki hat mit jedem von uns lange Einzelgespräche geführt“, erinnert sich Lechtenbrink. „Je schwerer der nächste Drehtag war, desto mehr Zeit hat er sich genommen.“ Der Film habe sie alle sehr geprägt, gesteht er. „Jeder von uns begann plötzlich, seinen Vater zu fragen, was er eigentlich gemacht habe während der Nazizeit. Meiner hat sich sehr gut gestellt. Er war Flieger und schnell verwundet worden. Er bezeichnete sich als Freidenker. ‘Ich gehörte keiner Kirche an und auch keiner Partei’, sagte er. Sein Gott, seine Partei sei allein die freie Natur.“ Lechtenbrink lacht. „Man war ja froh, wenn man einen Vater hatte, auf den man stolz sein konnte.“

Natürlich war Volker Lechtenbrink über „Die Brücke“ zum Pazifisten geworden. Vier Jahre später stand die erste Musterung an. Nun hatten die Väter des Grundgesetzes den kommenden Generationen ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung eingeräumt. Ende der fünfziger Jahre aber befand noch eine Gewissenskommission über die moralischen Gründe derjenigen, die sich dem Dienst an der Waffe versagten. Volker Lechtenbrink wurde nicht anerkannt. Danach spielte er in Hannover in dem Tolstoi-Stück „Und das Licht scheint in der Finsternis“ den Kriegsdienstverwei-gerer Boris, der aufgrund seiner Überzeugung derart schikaniert wird, daß er sich das Leben nimmt. Ein Ereignis, das den jungen Schauspieler zum erstenmal den Sinn sogenannter „Zufälle“ erahnen ließ.

„Einen Tag nach der Premiere stand die vierte Nachmusterung an“, erinnert er sich. „Die Ärztin, die mich untersuchen sollte, erkannte mich. ‘Ich habe Sie gestern im Landestheater gesehen’, sagte sie. ‘Was Sie da gestern gespielt haben, ist das auch Ihre private Meinung’? Haargenau, antwortete ich. ‘Dann legen Sie sich mal auf den Tisch, ich muß Sie röntgen. Legen Sie das Bein so hin und den Arm so...’ Die Röntgenfotos nahm ich mit zur Musterung. Die guckten mich nur an und sagten: ‘Vielen Dank, untauglich.’ Die Ärztin hatte mich so drapiert, daß mich mit dieser Wirbelsäule keine Armee der Welt genommen hätte!“

Gut für ihn. So konnte er in Hannover weiter Theater spielen. Damals hatte Kurt Erhard ein Ensemble rekrutiert, das noch heute seinesgleichen sucht. Heinz Bennent, Günther Neutze, Hans Lothar, Günther Strack – „ein Kawanzmann nach dem anderen“, wie Lechtenbrink sagt. Er gerät richtig ins schwärmen, wenn er an diese Hoch-Zeit des deutschen Theaters denkt, das die Republik flächendeckend mit höchster Qualität belieferte. „Hilpert arbeitete nebenan in Göttingen. Gründgens in Hamburg, Struck in Düsseldorf, Schaller in Bochum, Barlog in Berlin. Und ich mit neunzehn mittendrin...“ Was nicht immer einfach war als junger Spund. In „König Lear“ spielte er den Massenmörder Edmund. Kein einfaches Unterfangen für jemand, dessen Stupsnase nie zu übersehen war. „Ich trug Perücke und war bis zur Unkenntlichkeit geschminkt. Aber kaum kam ich auf die Bühne, raunte es im Publikum: ‘Gott, ist der süß’. Das war mein erstes Erlebnis mit einem richtig bösen Shakespeare.“

Der süße Lechtenbrink – er mag ihn lange verfolgt haben. Aber gestern sah ich ihn zufällig in einer dieser unsäglichen Krimi-Serien, die das Fern-sehen seit der Privatisierung in unsere Wohnstuben pumpt. Lechtenbrink spielte einen Arzt und der Kommissar begehrte natürlich zu wissen, was er gestern zwischen ein und zwei Uhr nachts gemacht habe oder so ähnlich. Es war nur ein Kurzauftritt, aber selbst der genügte, um mit reduziertem Minenspiel professionelle Akzente zu setzen. Helfen wird ihm das wenig. Fünfzigjährige kommen in den Drehbüchern der elektronischen Medien-maschine kaum noch vor. „Ich bin quotenmäßig zu alt“, sagt er lächelnd, als habe er die TV-Pfründe längst abgeschrieben. „Vielleicht entdeckt man ja doch noch irgendwann, daß die jungen Leute gelegentlich auch Väter haben...“

Volker Lechtenbrink hat nichts gegen Serien, er hat nur etwas gegen blutleere Unterhaltung. Er ist fest davon überzeugt, daß allein die gut erzählten Geschichten ein Publikum wirklich zu amüsieren oder zu fesseln vermögen. „Denken Sie an die Serie ‘Emergency-Room’, die Steven Spielberg ins Leben gerufen hat. Das ist eine Arzt-Serie, die packt. So kann man es eben auch machen.“ Emergency-Room läuft auf Pro 7 und ist ein Muß im Tagesablauf Volker Lechtenbrinks. Zur Zeit drückt er in München auf die Fernbedienung, dort steht er mit Horst Frank in Woody Allens „Kugeln übern Broadway“ auf der Bühne. Ende des Jahres wird das Stück mit seinen Protagonisten für zwei Monate auch in Hamburg zu sehen sein, im Ernst Deutsch Theater.

„‘Kugeln überm Broadway’ ist ein Glücksfall fürs Boulevardtheater“, sagt Lechtenbrink, „es ist der Idealfall einer Komödie, sie hat einfach keine billigen Lacher nötig.“ Boulevardtheater – eine Gattung, die nicht unterzukriegen ist. Eine Gattung, in der man laut Lechtenbrink freier, inspirierter und spritziger agieren könnte als irgendwo sonst, wenn sie denn endlich aufhören würde, sich als altersschwache Witzmaschine für Rentner zu definieren. „Der Versuch, einem überalterten Publikum fünfzehn kalkulierte Lacher pro Stunde abzuringen, ist alles andere als komisch. „Das funktioniert allenfalls auf plattdeutsch. Aber leider mangelt es dem Boulevard an guten Autoren.“

Gute Autoren, das weiß Lechtenbrink auch, werden kaum fürs Theater schreiben, wenn das Fernsehen für weniger Hirnschmalz das zehnfache bietet. Also wird er wohl weiter in den Komödien-Häusern der Republik mit den komischen Klassikern von Moliere, Shakespeare, Curt Goetz und Neill Simon auftreten müssen, wenn er sich den speziellen Kitzel bewahren möchte, der dem Schauspieler aus dem Dialog mit einem gut unterhaltenen Publikum erwächst. Was ist mit seiner Singerei? Volker Lechten-brink war zwischendurch eine ziemlich markante Stimme auf dem deutschen Musikmarkt. Er hatte durchaus seine Fans, bis er vor zehn Jahren plötzlich das Mikro aus der Hand legte. „Ich hatte keine Lust mehr“, sagt er schlicht. „Aber merkwürdig, daß Sie das ansprechen. Viele Leute raten mir, wieder anzufangen damit. Aber ich höre nicht auf Marktstrategen, ich höre auf mich. Falls ich eines Tages wieder Geschichten erzählen möchte, die man singen kann, dann tue ich das.“ Er bekommt einen herrlich breiten Mund: „Leute mit Charisma haben eine gute Chance in unserer seelenlosen Unterhaltungsindustrie...“

Der Ehrgeiz, sich der Haxelmaschine des Erfolgs auszuliefern, ist ihm längst abhanden gekommen. Erfolg ist nicht kalkulierbar, also braucht man auf ihn auch nicht zu setzen. Die Gnade der frühen Geburt ist dem 55jährigen mittlerweile bewußt, er ist endlich imstande, den Kapriolen des  Unterhaltungsgewerbes gelassen zuzuschauen, in dem Andy Warhols einst so futuristisch anmutender Satz, daß jeder Mensch in der modernen Mediengesellschaft für fünfzehn Minuten zum Star avancieren kann, täglich umgesetzt wird. Die Temposchraube ist zum bersten angedreht, die Revivals sind drauf und dran, ihre Vorlagen zu überholen. Schön, daß man dem kollabierenden Irrsinn im gesetzten Alter eines Mitfünfzigers nichts mehr entgegensetzen will.

„Kult.“ Lechtenbrink schaut mich amüsiert an. „Kennen Sie den Begriff in seiner neuen Bedeutung? Heute ist Kult, wenn es jemand schafft, seine Belanglosigkeiten drei- oder viermal hintereinander publik zu machen.“ Eine solche Sprachverdrehung macht er nicht mit, schon aus Orientier-ungsgründen nicht. „Kult bildet sich in Jahrzehnten heran“, rückt er die Maßstäbe zurecht, „Kult ist ein Stück Ewigkeit, eine epochale Korsett-stange. Ein so schönes Wort schmeißt man nicht in die Abfalleimer des Zeitgeistes.“

Volker Lechtenbrink reibt sich nicht an den Phänomenen unserer hochtourigen Leistungsgesellschaft. Der Mann ist „dreimal glücklich geschieden“ und zum viertenmal verheiratet, er lebt ein erfülltes Leben unter Freunden. Und als alter Kinofan, der aufgrund seiner eigenen Biographie die Arbeit vor der Kamera bestens zu deuten versteht, hat er sich über das erfolgreichste Genre unseres Jahrhunderts seine Meinung gebildet. Anthony Hopkins, Al Pacino, Ben Kingsley – das sind seine Heroen. An ihnen schätzt er vor allem, daß sie sich nicht verleugnen als Persönlichkeit, daß sie jeder Rolle ihren eigenen Stempel aufzudrücken verstehen. „Es gibt Schauspieler, die so tief in eine Rolle schlüpfen, daß sie wie eine zweite Haut sitzt. Robert de Niro zum Beispiel. Aber wenn ich ‘Heat’ sehe mit Robert de Niro und Al Pacino, dann ist es Al Pacino der mich fasziniert. Er bleibt immer Al Pacino. Was Al Pacino mir zu sagen hat, berührt mich wirklich.“

Auch Volker Lechtenbrink bleibt in erster Linie Volker Lechtenbrink. Es ist angenehm, mit ihm zu plaudern. Er schaut aus dem Fenster. Auf der anderen Straßenseite stand einst das Onkel Pö. „Das war Kult“ sagt er in Erinnerung an die lockeren Abende mit Otto, Udo, der Rentnerband, Hannes Wader und anderen. „Belmondo spielt gerade in Paris Theater“, sagt er unvermittelt. „Die französischen Schauspieler haben Glück, das Volk liebt sie. Egal ob sie gerade auf der Bühne stehen oder vor der Kamera. In Deutschland macht man sich eher verdächtig, wenn man das Metier wechselt. Ich werde immer noch gefragt, ob ich Schauspieler oder Sänger bin. Aber was solls, so ist das bei uns, daran muß man sich gewöhnen.“

Seine Worte haben nichts bitteres. Er rührt im Tee und gibt mir zu verstehen, daß man sich nicht unbedingt unterhalten muß, um sich kennenzulernen. Ich denke daran, daß er bereits mit acht Jahren im Kinderfunk des NDR zu hören war, daß er mit zehn Jahren auf der Bühne des Schauspiel-hauses stand. Sein ganzes Leben hat er sich in diversen Rollen veräußert. Wer so frühzeitig seine Bestimmung fand, wird nicht plötzlich satt an dem, was er tut. Er spricht zwar nicht darüber, aber irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als warte er auf eine Herausforderung, die all das zum tragen bringt, was sich an schauspielerischer Potenz in ihm über die Jahre angesammelt hat. Aber die Fähigkeit alleine reicht nicht, das weiß er. Die Umstände müssen stimmen, die Zeit muß reif sein für einen großen Auftritt. Volker hört die Signale. Kriegt er die Chance, oder muß er damit zufrieden sein, daß er sich als weinender Kindersoldat in diesem Jahrhundert markant in Szene gesetzt hat?

Das Porträt erschien in der WELT

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