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Fiktion und Wirklichkeit: ein Liebespaar der besonderen Art

Kampf dem Öl-Multi. Wie im Roman so auch in der Realität Kampf dem Öl-Multi. Wie im Roman so auch in der Realität

18.5.2015 - Die Sonne schoss ihre Goldpfeile über den Horizont und ließ die Gesichter von mehr als hunderttausend Menschen erstrahlen, die sich entlang des Hafens von Papeete und seiner nordseitigen Lagune eingefunden hatten, um die Armada zu verabschieden. Während es über Nacht noch heftig geregnet hatte, war der Himmel heute klar und offen. Er war so blank geputzt, dass jeder Blick nach oben den Betrachter sofort in den unendlichen Raum katapultierte – es schien, als zeigte sich das Firmament nur deshalb so transparent, weil es die Menschen dazu ermutigen wollte, das Unmögliche zu wagen.

Von dem Ponton, der in der Hafenmitte verankert war, bot sich Cording ein prächtiger Blick über das von Booten besetzte Hafenbecken auf die Uferpromenade. Auf dem Platz To´ata hatten die Tänze begonnen, die im Rhythmus der Toere und des Pahu die alten tahitianischen Legenden interpretierten. Unter dem Beifall des aufgeregten Publikums bestiegen die ersten Krieger ihre Boote. Es war nicht einfach, unter tausenden von Pahies, Ivahahs und Pirogen das richtige Boot herauszufinden. Aber die Frauen und Männer hüpften wie Wasserflöhe durch das hölzerne Labyrinth. Cording, Maeva und Steve war die Ehre zuteil geworden, das Spektakel an Omais Seite beobachten zu dürfen. Von hier aus würde der Präsident das Startsignal geben. Außer ihnen und Omai waren nur noch dessen Minister, ein Schamane und das Aufnahmeteam von EMERGENCY TV anwesend, das gestern rechtzeitig auf Tahiti gelandet war. In wenigen Minuten würden sie Zeuge werden, wie das Wasser im Hafenbecken aufwirbelte und tausende von Booten an ihnen vorbeizogen, um den Ozean auf eine Weise zu erobern, wie es in Polynesien seit Jahrhunderten nicht mehr geschehen war. Natürlich wachte der Skycat über die Armada und falls es nötig war, würden von oben auch Navigationshilfen gegeben. Aber vereinbart war zunächst, dass die Boote so lange wie möglich versuchen sollten, ihren Weg von alleine zu finden. Vierundzwanzig Stunden rechnete man für die Überfahrt nach Makatea. Sollte die Zeitvorgabe eingehalten werden können, würden sich die Besatzungen der Hebetanker und die Herrschaften auf den Zerstörern der US-Marine morgen Früh in einen Alptraum verwickelt sehen.

Als der letzte Krieger Platz genommen hatte, raffte Omai sein weißes Gewand und trat ans Mikrofon.

„Liebe Schwestern und Brüder, die ihr aus ganz Polynesien gekommen seid, um uns zu unterstützen,“ begann er seine Ansprache, „wir Tahitianer danken euch!“ Ergriffen lauschte er dem Beifall, der ihm entgegen brandete. „Wir haben unszusammen geschlossen, um der Welt zu beweisen, dass wir für unsere Lebensweise einstehen... Wir treten an, um den Hochmut zweier Supermächte zu brechen, die unsere Herzen mit Füßen treten...“ Seine Worte prallten von den Häusern des Boulevard Pomare zurück oder verliefen sich in den Straßen. Omai wusste mit der phonetischen Tücke umzugehen. Hinter jedem Satz legte er eine Pause ein, um das Echo verstreichen zu lassen. „Wenn Amerikaner und Chinesen uns fragen würden:`Was um Himmels Willen ist eure Lebenseinstellung? Wofür kämpft ihr?`, so würden wir ihnen antworten: `Unsere Lebenseinstellung ist einfach: wir sind des festen Glaubens, dass uns die ganze Welt gehört...`“ Ein infernalisches Gebrüll erhob sich in den Booten und entzündete sich am Ufer. „Aber der Meinung sind wir doch auch! würden sie erstaunt antworten...“ fuhr Omai lachend fort. Cording hätte nicht für möglich gehalten, dass sich ein so unverfälschtes Lachen in hunderttausend Kehlen gleichzeitig bilden könnte. „Ich weiß,“ sagte Omai, als sich die Menge beruhigt hatte, „der Meinung sind sie auch... Sie verstehen nur nicht, dass alles, was ihnen und uns gehört, heilig ist... Dass sie es nicht vernichten dürfen, sondern beschützen müssen, wenn sie reich werden wollen... Ich wünsche allen Kriegern, die bereit sind, den Weg über das Meer zu wagen, eine glückliche Überfahrt... Wir sehen uns vor Makatea!“

Omai schwenkte die Startflagge. Das Wasser stob auf, als hätte sich ein Piranhaschwarm über die Kanus hergemacht, die im Rhythmus scharfkantig skandierter Gesänge Kurs auf die Hafenausfahrt nahmen. Es dauerte über zwei Stunden, bis die letzten Boote aus der Umklammerung befreit waren, um sich an den Schwanz dieses seltsamen Wesens mit den blinkenden Ruderblattschuppen zu hängen, das sich den Ozean eroberte wie eine freigelassene Seeschlange.

Am Ufer war es ruhiger geworden. Viele Tahitianer folgten der Armada am Strand, sie winkten, warfen Blumen in die Wellen. Nach zwei Kilometern schwenkten die Boote auf die offene See. Die Gesänge, die aus den Pirogen herüber schollen, wurden leiser, kamen nur noch bruchstückhaft mit dem Wind.

Dieser Text stammt aus meinem Roman "Das Tahiti-Projekt" von 2008. Der Öl-Multi Global-Oil schürft in den Hoheitsgewässern Polynesiens illegal nach Manganknollen, was eine Umweltkatastrophe ungeahnten Ausmaßes nach sich ziehen könnte. Tausende von Pirogen (Kanus) brechen von Papeete, der Hauptstadt Tahitis, auf, um die Hebetanker, die vor der Insel Makatea liegen, einzuschließen und zum aufgeben zu zwingen. Die gleiche Aktion findet nun, sieben Jahre später, in Seattle statt, wo tausende Kanus gegen den Öl-Multi Shell bemüht werden, der von der US-Regierung einen Freifahrtschein zur Umweltzerstörung in der Arktis bekommen hat. Es ist schon erstaunlich, wie sich die literarischen Hochrechnungen, als die ich meine Bücher bezeichne, nach und nach in der Realität manifestieren.

Das "Tahiti-Projekt" ist sowohl im Hardcover als auch im Taschenbuch vergriffen. Der Equilibrismus e.V. hat sich jedoch einen Restbestand von tausend Exemplaren gesichert. Zu bestellen ist das Buch unter www.equilibrismus.de

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